Das Scheitern eines Experiments

Nachdem ich im März viel Freizeit hatte, war mein Plan, diese Zeit zu nutzen, um ein neues Projekt anzugehen. Eine Liebesgeschichte in einem Fantasy-Setting. Für meine Verhältnisse knackig kurz mit geplanten 70-80k.
Ich hatte die Story im Februar komplett durchgeplottet, es gab keine Punkte mehr, die unklar waren. Da der Roman großteils im Winter spielt, wäre es auch der ideale Zeitpunkt, weil im Hochsommer Szenen über kuschelige Abende vor dem Kamin zu schreiben? Ich weiß nicht, ob meine Fantasie dazu ausreicht :-P

Mein Plan war, diesen Roman so schnell wie möglich zu schreiben, ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten und logische Probleme (auf die ich immer stoße, egal wie gut die Planung ist). Ich wollte ausprobieren, wie schnell ich ein Buch schreiben kann, wenn ich sonst wenig Ablenkung habe. Eine Art Selbstversuch – kann ich in zwei Monaten ein Buch plotten und schreiben?
Kurze Antwort: Nein.

Der Plan ging nicht auf. Zwei Wochen lang saß ich vor dem leeren Dokument in Scrivener und hatte keine Ideen. Ich wusste zwar, wie die Geschichte abläuft, aber trotzdem fehlten mir die Ideen für Szeneneinstiege. Es kam einfach nichts. Ich prokrastinierte wie ein Weltmeister – gut für meine Bilderdatenbank, schlecht für den Roman.
Also machte ich das, was ich immer in solchen Situationen mache – ich suche mir eine andere Szene, die vielleicht besser geht. Nur – auch das klappte nicht. Ich musste mit der 1. Szene anfangen, weil alle andere darauf aufbauen (no na) und ich auch erst mal rausfinden musste, wie die Charaktere funktionieren. An der Charakterbildung herumgefeilt, 2 NCs eine Persönlichkeit verpasst.
Dann wieder an die 1. Szene gesetzt, einen waschechten Prolog. Zu schreiben angefangen. Und im 2. Absatz auf die ersten heftigen Probleme gestoßen – zum World Building. Das hier ist nicht meine bekannte, go-to-Fantasywelt, sondern was Neues. Und weil es neu ist, weiß ich wenig darüber (wieder ein “no na” Moment).

Es stellte sich heraus, dass mein Hauptproblem ausnahmsweise nicht zickende Charaktere oder ausufernde Länge sind, sondern mangelnde Kenntnis über meine Fantasywelt. Ein Problem, das ich noch nie hatte. Normalerweise existieren diese Welten entweder seit Jahren in meinem Kopf und in Aufzeichnungen, oder ich halte es mit Mulans “I’m making this up as I go”. Beides hat bislang gut funktioniert. Jetzt nicht mehr.
Liegt vermutlich daran, dass ich mich beim europäischen Altertum bediene, wo ich mich nicht wirklich gut auskenne, und mir das Ganze ausdachte, ohne mit großartige Gedanken über die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten zu machen. Ich dachte mir nur das aus, was ich für den Plot brauche.
Nun, für den Plot ist vermutlich auch nicht mehr notwendig, als ich bereits festlegte, aber um es schreiben zu können, brauche ich ein Gefühl für diese neue Fantasywelt, und das habe ich nicht.
Also wieder zurück an den Schreibtisch und in Recherche abgetaucht. Angefangen von Rüstungen über Geografie und politische Systeme bis hin zu Nahrungsmitteln. Bin noch immer mittendrin und finde es erstaunlich, was früher alles gegessen wurde :-P

Jetzt habe ich das ganze Projekt mal hintenangestellt, bis ich mich so gut in meiner neuen, noch immer namenlosen Welt auskenne, dass ich problemlos darin schreiben kann. Sobald ich nicht mehr darüber nachdenken muss, wie dort was funktioniert, kann ich unbeschwert in dieser Welt schreiben.
Road Closed

Über Jery Schober

author translator editor daydreamer Übersetzt Romane, schreibt Fantasy, liest querbeet und malt unerfolgreich.
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24 Antworten zu Das Scheitern eines Experiments

  1. udo75 schreibt:

    Wie wäre es mal was in der „alten“ bekannten Welt fertigzuschreiben ? Da wäre schon alles da, Welt, Charaktere, Wetter, Essen, …… usw.

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  2. Gescheitert bist du nur, um auf den Trümmern dieses Scheiterns etwas neues und viel Besseres gedeihen zu lassen. ;)

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  3. Evanesca Feuerblut schreibt:

    Eine Umarmung von einer, die seit 2009 an einer Welt bastelt und dabei so versumpft, dass die Geschichte immer noch nicht über Kapitel 1 hinausgekommen ist – obwohl ich das Ende bereits kenne.
    Dann ist das eben nicht die richtige Art für diese Geschichte, geschrieben zu werden. Geschichten sind wie Lebewesen – alle individuell <3.

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  4. Carmilla DeWinter schreibt:

    Ah ja. Aber hey: Das europäische Altertum ist echt cool. Nachdem ich letztes Jahr im Frühjahr auch mehr über das Alte Rom gelesen habe als erhofft …

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    • Jery Schober schreibt:

      Bin letztens auf einer HP versumpft, wo es ums Essen der alten Römer geht. Faszinierend. Ich sehe da schon ein paar Sachbücher auf mich zukommen, da ich vom Altertum noch nichts im Regal habe … *ausredefürbücherkaufsuch*

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  5. para68 schreibt:

    Ich hätte bei der Einleitung damit gerechnet, dass Du Deine Prognose bereits kurz nach Beginn des Schreibens von 80k auf 150k hättest korrigieren müssen. Lücken beim World Building sind doch mal eine ganz neue Herausforderung! :-)
    Vielleicht schaffst Du es ja zeitlich, die Lücken zu schließen und an Leo zu schreiben.

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  6. dreamertalks schreibt:

    Vielleicht bist Du oder die Geschichte noch nicht reif genug?
    Das ist so ein klein wenig meine Erfahrung in den letzten Jahren. Ich habe, natürlich immer zum NaNo, super Ideen aus dem Hut gezaubert, ganz viel zusammen gesucht und vorbereitet und dann ging das Schreiben los und nicht stimmte mehr. Ich konnte die jeweiligen Geschichten einfach nicht schreiben und brach frustriert ab. Teilweise Jahre später habe ich mich ohne weitere Vorbereitung dann an die jeweiligen Projekte gesetzt und es ging ohne Probleme, machte Spaß und war sehr schnell geschafft. Ich kann nicht sagen, dass ich in der Zwischenzeit bewußt an den Projekten gearbeitet habe, aber offensichtlich unbewußt. Sie (oder ich) mussten einfach reifen.

    Diese Theorie muss natürlich nicht für jeden passen, aber könnte doch sein, oder?
    Allerdings 70-80k? Ich weiß, dass die meisten Verlage exakt sowas haben wollen, aber ich als Leser fang dafür manchmal nicht mal an zu lesen! Da bin ich ja gerade in der Welt abgetaucht, mag die Charas, liebe die Handlung und plötzlich ist alles zuende. Nope. Für mich zu kurz

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    • Jery Schober schreibt:

      Irgendeiner von uns ist offensichtlich noch nicht reif genug, also bekommen Story und ich erst mal „Brutzeit“.
      Ha, endlich jemand, der lange Werke zu schätzen weiß ;-) In dem Fall will ich mich wirklich kurz halten, weil der Schwerpunkt auf der Lovestory liegt und ich keine Subplots einbauen will. Was am Ende dabei herauskommt *schielt auf ihr 330k Monster* … gucken wir mal. Brutzeit geht meistens mit Subplots einher, und mit lang und ausführlich hatte ich noch nie ein Problem :-P

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      • dreamertalks schreibt:

        Ja, das stimmt. Bei mir hat die Brutzeit dazu geführt, dass ich dem Bösewicht soviel Charakterzeit gegeben habe, dass ich ihn jetzt fast sympathischer finde als den Helden… und ein Nebencharakter, eigentlich der typische Star Trek Charakter im roten Anzug, der weder Namen noch Sprechzeit bekommt, interessiert mich so sehr, dass ich versuche noch im Nachhinein was über ihn zu schreiben. Zum Glück hab ich dafür im Moment keine Zeit!

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  7. Stella Delaney schreibt:

    OMG, du sprichst mir mal wieder aus der Seele!

    Ich hab im Januar/Februar einen Kurzkrimi für eine Anthologie geschrieben und hatte danach die Idee im Kopf, dass man doch einen Krimi in Romanlänge aus der Grundidee machen könnte. Anfangs noch zögernd mal alles durchgeplottet (mit Karteikarten und allem drum und dran) und siehe da, der Plot war komplett, die Figuren vorhanden, alles erfolgversprechend.

    Doch dann kam schon in der ersten Szene der Frust. Zum ersten mal schreibe ich in einer ‚realen‘ greifbaren Zeit und Welt (Deutschland, jetzt), aber zu meiner Überraschung macht mir das nur mehr Probleme, weil es meinen Perfektionismus auf den Plan ruft. Wie funktioniert das bei der Polizei, welcher Karriere hätte meine Hauotfigur logischerweise hinter sich?

    Und dann spielt das ganze (aus Gründen) noch in Hamburg, eine Stadt, die ich zwar liebe, aber nicht im Detail kenne… Welche U-Bahnlinie würde die Figur jetzt nehmen? In welchem Stadtteil wohnt sie überhaupt?

    Fragen über Fragen, endlose Recherche (weil ich mich sonst an keine Szene traue) und Frust, weil die genaue Antwort nicht zu finden ist… *seufz*

    Ich sollte im April mal eine Pause einlegen, und zu meiner Dystopie zurückkehren. Da weiss ich wenigstens, wie die welt funktioniert.

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    • Jery Schober schreibt:

      Oh ja, dieser Perfektioinismus, wenn es die reale Welt ist, wo man auf einmal all das recherchieren muss, was man in Fantasy erfunden hat :-) Ich tu mir mit dem contemporary Zeug momentan auch schwer, weil ich mich verpflichtet fühle, Details herauszufinden, die keine Rolle für die Story spielen, die ich aber „richtig“ hinkriegen will. Stadtviertel, Straßennamen, U-Bahn-Linien, wie lange braucht man zu Fuß von A nach B … Ich fühle also mit dir *hug*
      Zum Schluss denkt man sich, ja, in Fantasy muss ich alles erfinden, aber keiner kann nachher behaupten, ich hätte die falsche Straße genommen ;-)

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